Neue Gentechnik: Kein Weg für einen nachhaltigen Systemwandel

07. März 2022 Aktuelles Interview

Mais mit Aufschrift GMO für genetically modified organism
Kulturmais gehört mittlerweile zu den Pflanzenarten, die durch Gentechnik verändert wurden. Bild: istockphoto.com

Die EU-Kommission plant das EU-Gentechnikrecht zu ändern; sie argumentiert dabei mit den ökologischen Herausforderungen für die Landwirtschaft. Wem nützt eine Deregulierung wirklich?

Die EU-Kommission plant das EU-Gentechnikrecht zu ändern; sie argumentiert dabei mit den ökologischen Herausforderungen für die Landwirtschaft. Doch eine neue Regulierung könnte vor allem dem Big Business in die Hände spielen. Ein ökologischer Systemwandel und Verbraucher*inneninteressen blieben auch mit den neuen Gentechnikverfahren hingegen auf der Strecke. Vor allem für die Bio-Branche wäre es fatal, wenn die Kennzeichnungspflicht entfällt. Zur Einordnung der aktuellen politischen Diskussion haben wir mit Daniela Wannemacher, Gentechnikpolitik-Expertin beim BUND, gesprochen.

BNN: Begriffe wie CRISP/Cas oder Genom-Editierung klingen für viele Menschen wohl nach Science-Fiction. Die Befürworter*innen dieser neuen Gentechnikverfahren in der Landwirtschaft sehen darin den Schlüssel, um auch in Zeiten des Klimawandels eine wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können. Das Argument: Dank derartiger Methoden könnten deutlich schneller klimaresistentere Pflanzen gezüchtet werden, die zum Beispiel auch Hitze und Trockenheit besser standhalten. Was ist an diesem Argument dran?

Daniela Wannemacher: Das klingt erstmal super. Das klingt nämlich nach: Das geht schnell, das geht einfach. Aber wer glaubt ernsthaft, dass wir damit die großen Krisen unserer Zeit wie Klimakrise und Biodiversitätskrise lösen können? Die Biotech-Industrie verspricht mit den neuen Gentechnik-Verfahren hitze- und klimatolerante Pflanzen erschaffen zu können. Die Auswirkungen der Klimakrise sind allerdings vielfältig. Es nehmen Extremwetterlagen zu: Auf langanhaltende Trockenheit folgen kurze aber sehr starke Regenfälle mit Überschwemmungen; die Vegetationsperioden beginnen später bei gleichzeitig steigenden Temperaturen und Starkwinde nehmen ebenfalls zu. Da reicht es nicht, wenn eine Pflanze besser mit Hitze umgehen kann. Außerdem gibt es derzeit noch keine einzige gentechnisch veränderte Pflanze, die besonders gut mit Stressfaktoren, wie Trockenheit, Hitze und Frost umgehen kann.

BNN: 2021 veröffentlichte die EU-Kommission einen Bericht zu CRISP/Cas & Co. – und argumentierte, dass diese Verfahren „zu einem nachhaltigeren Lebensmittelsystem“ beitragen können. Droht mit diesem Bericht eine Deregulierung des EU-Gentechnikrechts?

Daniela Wannemacher: Wir sehen diesen Bericht sehr kritisch. Denn es handelt sich hier um keine wissenschaftliche Untersuchung, sondern lediglich eine Zusammenfassung von Positionen von Mitgliedsstaaten, Unternehmens- und Forschungsverbänden. Die EU-Kommission hat dadurch sehr gentechnik-freundliche Positionen ungeprüft übernommen. Kritikpunkte von Verbänden aus der Zivilgesellschaft, Umweltverbänden und auch aus der ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft wurden nur am Rande berücksichtigt. Daher verwundert es nicht, dass sich die EU-Kommission in ihrer Schlussfolgerung für eine Deregulierung ausgesprochen hat.

BNN: Mit der Folge, dass zum Beispiel Kennzeichnungspflichten entfallen könnten ...

Daniela Wannemacher: Das ist das Kernstück der Debatte um eine Deregulierung von neuer Gentechnik: Es geht darum, diese Methoden aus dem EU-Gentechnikrecht auszuklammern. Dadurch müssten zum Beispiel mithilfe von Genom-Editierung veränderte Pflanzen nicht mehr als gentechnisch veränderte Organismen gekennzeichnet werden. Das würde bedeuten, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel ohne Kennzeichnungen auf den Markt gelängen. Kurzum: Keine Kennzeichnung – keine Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher.

 
Daniela Wannemacher (Leiterin für Gentechnikpolitik beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)

Daniela Wannemacher ist Leiterin für Gentechnikpolitik bei der Umweltschutzorganisation Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Für sie steht fest: Die Land- und Lebensmittelwirtschaft braucht einen ökologischen Systemwandel. Der Einsatz von Gentechnik stehe dem entgegen, denn er führe zu einer weiteren Intensivie-
rung der Landwirtschaft – und verschärfe somit die althergebrachten Probleme nur weiter. Denn auch neue gentechnische Verfahren seien keine nachhaltige Antwort auf Klimawandel und Biodiversitätsverlust, so die Expertin. Zudem fehle es noch an ausreichend Erkenntnissen zu den Risiken dieser neuen Methoden.

 

 

BNN: Wer profitiert davon, die neuen Gentechnikverfahren zu deregulieren?

Daniela Wannemacher: Von einer Deregulierung profitieren vor allem große Konzerne, die Patente halten; Forschungseinrichtungen, die mit Gentechnik arbeiten wollen und die sich entsprechende Fördergelder erhoffen oder ihre Produkte vermarkten wollen. Der große konventionelle Agrarhandel hofft, beim internationalen Handel keine strengen Gentechnik-Gesetze mehr beachten zu müssen. Wenn die Kennzeichnungspflicht entfällt, entfallen auch die kostenintensiven Prüfungen bei günstigen Importen von Rohstoffen aus dem Ausland. Und das zeigt auch, wer den Schaden hat: Nämlich Verbraucherinnen und Verbraucher, die nicht mehr entscheiden
können, keine Gentechnik auf dem Teller haben zu wollen. Auch die europäischen Landwirtinnen und Landwirte, die auf Qualität statt Masse setzen, werden unter billigen Importen leiden. Die ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft bleibt aber auf den Kosten für Analysen und Kontrollen sitzen. Es ist besonders spannend zu sehen, dass 74 Prozent der Rückmeldungen zum Bericht aus der Industrie kamen – insgesamt 79 Akteure. Von diesen waren übrigens 16 nicht in der Lebensmittelbranche tätigt, sondern stammten zum Beispiel aus der Pharmaindustrie.

BNN: BUND und BNN haben gemeinsam mit weiteren 92 Verbänden und Organisationen im April 2021 die Bundesregierung aufgefordert, sich für eine strikten Regulierung von Gentechnik einzusetzen – und vor allem die sogenannte neue Gentechnik wie die „klassische“ Gentechnik zu bewerten. Welche Chancen siehst du, dass sich diese Position durchsetzt?

Daniela Wannemacher: Die Zukunftskommission Landwirtschaft hat es deutlich gemacht: Es gibt einen gesellschaftlichen Auftrag für eine ökologischere Landwirtschaft. Und das gelingt nur, wenn das gesamte Arsenal der Gentechnik in der Landwirtschaft weiterhin strikt reguliert bleibt. Eine ökologisch orientierte Landwirtschaft kann nur ohne Gentechnik funktionieren. Wir verbinden mit der Ampel-Koalition besonders große Hoffnungen, dass dieser Umbau jetzt zügig und konsequent angegangen wird. Wir haben daher die ganz klare Erwartung, dass die Bundesregierung dafür sorgen wird, dass Risikobewertung, Zulassungsbedingungen, Kennzeichnung und damit auch die Wahlfreiheit in Europa weiter gesichert bleiben.

BNN: EU-Abgeordnete bemängelten kürzlich, dass zwar viele Millionen Euro in die Entwicklung der neuen Gentechnikverfahren fließen, aber zu ihren Risiken für Umwelt und Gesundheit werde nicht geforscht, heißt es. Wie steht es um die Forschung?

Daniela Wannemacher: Ich kann dieser Kritik nur beipflichten. Es gibt bisher kein einziges von der Europäischen Union beauftragtes Forschungsprojekt, dass sich gezielt mit Risiken und Nachweisverfahren beschäftigt, dafür wurden von der EU in den letzten vier Jahren 271 Millionen Euro für Gentechnikforschung an Pflanzen ausgegeben. Auch auf nationaler Ebene werden lediglich 1,6 Prozent der Forschungsbudgets für neue Gentechnik für die Bereiche Risikobewertung und Nachweisverfahren verwendet – insgesamt 5,69 Millionen Euro über alle Mitgliedsstaaten hinweg. Der Großteil geht also in die Forschung an Organismen, und dabei handelt es sich nicht nur um Grundlagenforschung, sondern auch um Anwendungsforschung. Es wird also schon an Pflanzen geforscht, die letztlich auch auf den Feldern landen könnten – auch wenn in der EU die deutliche Mehrheit der Verbraucher*innen keine Gentechnik auf den Feldern will.

Text und Interview: René Neumann, Referent für digitale Kommunikation beim BNN