BNN: Wer profitiert davon, die neuen Gentechnikverfahren zu deregulieren?
Daniela Wannemacher: Von einer Deregulierung profitieren vor allem große Konzerne, die Patente halten; Forschungseinrichtungen, die mit Gentechnik arbeiten wollen und die sich entsprechende Fördergelder erhoffen oder ihre Produkte vermarkten wollen. Der große konventionelle Agrarhandel hofft, beim internationalen Handel keine strengen Gentechnik-Gesetze mehr beachten zu müssen. Wenn die Kennzeichnungspflicht entfällt, entfallen auch die kostenintensiven Prüfungen bei günstigen Importen von Rohstoffen aus dem Ausland. Und das zeigt auch, wer den Schaden hat: Nämlich Verbraucherinnen und Verbraucher, die nicht mehr entscheiden
können, keine Gentechnik auf dem Teller haben zu wollen. Auch die europäischen Landwirtinnen und Landwirte, die auf Qualität statt Masse setzen, werden unter billigen Importen leiden. Die ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft bleibt aber auf den Kosten für Analysen und Kontrollen sitzen. Es ist besonders spannend zu sehen, dass 74 Prozent der Rückmeldungen zum Bericht aus der Industrie kamen – insgesamt 79 Akteure. Von diesen waren übrigens 16 nicht in der Lebensmittelbranche tätigt, sondern stammten zum Beispiel aus der Pharmaindustrie.
BNN: BUND und BNN haben gemeinsam mit weiteren 92 Verbänden und Organisationen im April 2021 die Bundesregierung aufgefordert, sich für eine strikten Regulierung von Gentechnik einzusetzen – und vor allem die sogenannte neue Gentechnik wie die „klassische“ Gentechnik zu bewerten. Welche Chancen siehst du, dass sich diese Position durchsetzt?
Daniela Wannemacher: Die Zukunftskommission Landwirtschaft hat es deutlich gemacht: Es gibt einen gesellschaftlichen Auftrag für eine ökologischere Landwirtschaft. Und das gelingt nur, wenn das gesamte Arsenal der Gentechnik in der Landwirtschaft weiterhin strikt reguliert bleibt. Eine ökologisch orientierte Landwirtschaft kann nur ohne Gentechnik funktionieren. Wir verbinden mit der Ampel-Koalition besonders große Hoffnungen, dass dieser Umbau jetzt zügig und konsequent angegangen wird. Wir haben daher die ganz klare Erwartung, dass die Bundesregierung dafür sorgen wird, dass Risikobewertung, Zulassungsbedingungen, Kennzeichnung und damit auch die Wahlfreiheit in Europa weiter gesichert bleiben.
BNN: EU-Abgeordnete bemängelten kürzlich, dass zwar viele Millionen Euro in die Entwicklung der neuen Gentechnikverfahren fließen, aber zu ihren Risiken für Umwelt und Gesundheit werde nicht geforscht, heißt es. Wie steht es um die Forschung?
Daniela Wannemacher: Ich kann dieser Kritik nur beipflichten. Es gibt bisher kein einziges von der Europäischen Union beauftragtes Forschungsprojekt, dass sich gezielt mit Risiken und Nachweisverfahren beschäftigt, dafür wurden von der EU in den letzten vier Jahren 271 Millionen Euro für Gentechnikforschung an Pflanzen ausgegeben. Auch auf nationaler Ebene werden lediglich 1,6 Prozent der Forschungsbudgets für neue Gentechnik für die Bereiche Risikobewertung und Nachweisverfahren verwendet – insgesamt 5,69 Millionen Euro über alle Mitgliedsstaaten hinweg. Der Großteil geht also in die Forschung an Organismen, und dabei handelt es sich nicht nur um Grundlagenforschung, sondern auch um Anwendungsforschung. Es wird also schon an Pflanzen geforscht, die letztlich auch auf den Feldern landen könnten – auch wenn in der EU die deutliche Mehrheit der Verbraucher*innen keine Gentechnik auf den Feldern will.
Text und Interview: René Neumann, Referent für digitale Kommunikation beim BNN