Empowerment für eine nachhaltige Zukunft

08. März 2024 Aktuelles

© Amaury WengerDie Interviewpartnerinnen Kathrin Jäckel und Tina Andres — hier gemeinsam mit der BNN-Vorstandsvorsitzenden Rosi Weber (re.), anlässlich des BNN- Empfangs „Come together" auf der Biofach-Messe 2023.

Warum Frauen für die ökologische Transformation so wichtig sind. Interview mit Tina Andres (Vorstandsvorsitzende des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e. V.) und Kathrin Jäckel (Geschäftsführerin des BNN) zum Schwerpunktthema der Biofach 2024.

Frauen und Ernährung gehören auf vielen Ebenen zusammen. Das wird jedoch selten thematisiert, honoriert oder gar als zukunftsweisendes Potenzial gesehen. Auf Initiative der BÖLW-Vorstandsvorsitzenden Tina Andres
setzt die Biofach 2024 genau da den inhaltlichen Schwerpunkt. Über weibliche Rollen in der ökologischen Transformation der Ernährungswirtschaft und die Voraussetzungen, Frauen gleichberechtigt einzubinden, sprachen wir mit Tina Andres und Kathrin Jäckel.

Was war dein Motiv, dieses Thema für die Biofach vorzuschlagen?

Tina Andres: Für mich stand das Thema schon lange oben auf der Agenda. Frauen gestalten überall auf der Welt verantwortungsvoll und unverbrüchlich Ernährungssysteme, vor allem auch im Bio-Bereich. Die Rahmenbedingungen jedoch gestalten überwiegend Männer und oft entsteht hier eine gewaltige Schieflage. Beispiel: Eine über Jahrzehnte männlich geprägte Agrar-Politik, hat uns in die aktuelle Krisensituation mit Artenverlust und Klimakrise gebracht. Meine Überzeugung ist, dass Frauen mit ihrer Beharrlichkeit und ihrem unbedingten Willen, das Beste für die Folgegenerationen zu tun, das Potenzial haben, zukunftsweisende, nachhaltige Transformationen umzusetzen. Deshalb bin ich sehr glücklich darüber, die Chance genutzt zu haben, Bio-Frauen mit der Biofach eine große internationale Bühne eröffnet zu haben.

Warum war die Zeit reif?

Kathrin Jäckel: Aus meiner Sicht war es überfällig, die Rolle der Frauen im Ernährungssektor hierzulande und international in den Mittelpunkt zu stellen. Ein paar Zahlen verdeutlichen das: Über die Hälfte der Weltbevölkerung sind Frauen, 70% davon sind von Armut und den Auswirkungen der Klimakrise betroffen, Zweidrittel der Frauen leisten unbezahlte Care-Arbeit. Im Gegensatz dazu besetzen Frauen jedoch nur ein Drittel der Führungspositionen und ihnen gehört weniger als 15% des weltweiten Landbesitzes. Wir haben es also mit massiven Ungerechtigkeiten und Ungleichverteilungen zu tun. Deshalb sollten wir jede Gelegenheit nutzen, um Frauen Sichtbarkeit sowie Platz und Gehör in allen Debatten zu verschaffen.

Wie sieht es denn in der Bio-Branche hierzulande mit Frauenpower aus?

Kathrin: Das Wort Frauenpower führt auf den falschen Pfad, denn es suggeriert, dass Power bei Frauen etwas Besonderes ist. Über „Männerpower“ sprechen wir ja auch nicht. Es geht vielmehr um Empowerment, das heißt, um die Ermächtigung, Ausstattung und Befähigung zu einer gleichberechtigten Teilhabe, vor allem an Entscheidungsprozessen, die alle Mitglieder der Gesellschaft betreffen, wie eben bei der Ernährung. Wir haben in der Bio-Branche natürlich Beispiele von Frauen, die Unternehmen führen, die in der Erzeugung oder in Verbänden Führungsrollen haben. Aber wir haben nahezu keine Zahlen dazu. Wenn ich mich auf Veranstaltungen und Warum Diskussionsrunden umsehe, würde ich sagen: Wir haben mit Sicherheit noch viel Luft nach oben. Ein ganz anderer Aspekt ist, dass statistisch gesehen überwiegend Frauen den Grundtenor in Ernährungsfragen setzen und noch immer mehrheitlich die Lebensmitteleinkäufe bestreiten. Gerade hat eine aktuelle Studie zeigt, dass Frauen mittleren Alters die Statistik der Bio-Käufer*innen anführen. Bis sich das in Richtung Gleichstellung geändert hat, ist es ein großer Hebel für unsere Branche, dem wir definitiv mehr Aufmerksamkeit widmen sollten.

Worin liegen die Stärken von Frauen?

Tina: Frauen gelingt oft ein holistischer und empathischer Blick auf Themen, während die männliche Perspektive eher detailfokussiert und technisch-funktional ist. Meine Erfahrung ist, dass sich Debatten- und Lösungskultur verändern, wenn Frauen mit am Tisch sitzen. Auch Beharrlichkeit in der Zielverfolgung ist für mich eine weibliche Stärke. Frauen sind grundsätzlich darauf ausgerichtet, stabile Systeme für die jetzige und folgende Generationen zu schaffen, zu unterstützen, zu gestalten und Erreichtes zu erhalten. Ich wünsche mir, dass wir diese Stärken zum Wohle aller zum Klingen bringen, denn Ernährungssicherheit ist auch essentiell mit Wohlstand und Frieden verknüpft.

Kathrin: Es ist schwer, darauf zu antworten, ohne geschlechtsspezifische Kategorisierungen zu zementieren. Gut belegt ist jedoch, dass Frauen in allen Gesellschaften zu mehr Empathie und Kooperation erzogen werden als ihre Geschlechtsgenossen. Das führt dazu, dass Frauen bei Entscheidungsfindungen oft kooperationsorientierter sind. Das ist eine wichtige Qualität für die aktuellen Transformationsprozesse. Deshalb verstehe ich auch die berufliche Benachteiligung von Frauen nicht, wenn sie Mutter werden: Gerade dann habe ich Frauen oft als sehr resiliente, leistungsbereite, verantwortungsvolle Multiplayer erlebt und immer positive Erfahrungen damit gemacht, sie in berufliche Verantwortung zu bringen. Systemisch betrachtet ist es so: Sobald weibliche Impulse Teil eines überwiegend männlichen Systems werden, kommt das ganze System zwangsläufig in Bewegung. Diesen Effekt brauchen wir in der aktuellen Transformation und wir sollten ihn nutzen.

Gibt es öko-feministische Ansätze in eurer Arbeit?

Tina: Der öko-feministische Ansatz beinhaltet ja ganzheitliche Forderungen für eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Zukunft und das umschreibt auch unsere Ziele in der Bio-Bewegung. Unsere Branche zeichnet sich ja dadurch aus, dass sich Frauen und Männer gemeinsam auf den Weg gemacht haben, um die Grundlage für eine neue Ernährungskultur zu schaffen. Fairness, Gleichberechtigung, Kommunikation auf Augenhöhe gehören dazu. Das schätze ich sehr und sehe hier auch eine Vorbildfunktion. In vielen anderen Branchen gibt es das auch heute immer noch nicht. Doch dass es in der Bio-Branche in dieser Beziehung relativ gut läuft, sollte uns aber keinesfalls daran hindern, genau hinzuschauen und Strategien zu entwickeln, um Frauen noch mehr zu fördern, sie zu ermutigen, ihnen Führungsrollen zu ermöglichen und öko-feministische Veränderungen anzustoßen.

Kathrin: Öko-feministische Impulse sehe ich sehr stark in unserem Nachwuchsnetzwerk BNN.Next. Vielen jungen Frauen ist klar, dass die entgrenzte Ausbeutung der Naturressource und die Behinderung von Gleichstellung bei gleichzeitigem Erhalt von Frauen in unbezahlter Familienarbeit im Grunde zwei Seiten derselben Medaille sind: Es geht dabei um die Zementierung von Machtverhältnissen. Das können wir mit einer öko-feministischen Politik, Kommunikation, Sichtbarkeit und mit der Themensetzung bei Veranstaltungen wie der Biofach ändern.

Wie müssen sich die Rahmenbedingungen ändern, um das Potenzial von Frauen mehr auszuschöpfen?

Kathrin: Empowerment fängt ja ganz konkret bei so simplen Voraussetzungen an wie der Vereinbarkeit von unbezahlter Sorgearbeit und Beruf, Stichwort Ausbau der Kinderbetreuung, bei gleichen Karriere- und Verdienstchancen, besserer Altersversorgung usw. Gleichstellung zu einem der Hauptkriterien von Wirtschafts- und Sozialpolitik zu machen, würde enorm viel bewirken.

Tina: Es gibt einen ganzen Strauß an sehr konkreten Maßnahmen, die wir in unseren Zusammenhängen beispielhaft etablieren können oder dies schon getan haben. Ziel dabei ist, bei der Gleichberechtigung die unterschiedlichen Bedürfnisse der Geschlechter anzuerkennen und zu berücksichtigen. Frauen sind überaus belastbar und können ausdauernd hart arbeiten, aber Familie muss Priorität haben dürfen. Dem müssen wir noch viel mehr Rechnung tragen. Es sind eigentlich uralte Forderungen, aber in der Realität werden Arbeitsmodelle dem immer noch nicht gerecht.

Wo werden eure Schwerpunkte zu diesem Thema auf der Biofach liegen?

Tina: Meine Intention ist, Bio-Frauen mit ihren Themen eine Plattform zu geben, um sich zu vernetzen, gute Beispiele zu teilen, auch um Forderungen zu formulieren. Dabei möchte ich nicht im Vordergrund stehen, werde mich aber in diversen Panels einbringen. Vor allem wünsche ich mir, dass wir offen sind, alle Stimmen hören und möglichst viele verschiedene Perspektiven zusammenbringen. So können wir die Wahrnehmung für das Thema verstärken und den Druck erhöhen, Veränderung anzustoßen. Und wir können Berührungsängste abbauen, denn niemandem geht es um ein Gegeneinander. Am Ende geht es doch darum, unsere Inhalte und unsere Bewegung nach vorne zu bringen, mit allen uns zur Verfügung stehenden Talenten und Kräften und davon sind mindestens die Hälfte Frauen.

Kathrin: Die Biofach eröffnet uns viele Möglichkeiten, Frauen ins Rampenlicht zu stellen und Aufmerksamkeit zu erzielen. Gemeinsam mit unserem jungen Netzwerk BNN.Next plant der BNN zum Beispiel im Fachhandelsforum einen Beitrag zum Fachkräftemangel mit innovativen gleichstellungsfördernden Ansätzen. Ich freue mich sehr auf diese Biofach und wünsche mir, dass sie zur Stärkung aller Öko-Frauen beiträgt.

Interview und Text: Karin Heinze