Milliarden-Umsätze warten auf Bio
Die Außer-Haus-Verpflegung ist kein Nischenmarkt. Zur AHV zählt nicht nur die Gemeinschaftsverpflegung, also die Küchen und Kantinen von Betrieben, Behörden, Krankenhäusern, Altenheimen und Bildungseinrichtungen. Hinzu kommen noch die klassische Gastronomie mit ihren Hotels und Restaurants, die Systemgastronomie (vulgo Fast-Food-Ketten) sowie jede Menge Essensstände, Kioske, Tankstellen... Die Agrarmarkt Informations-Gesellschaft AMI bezifferte den AHV-Umsatz für 2019 mit 76 Milliarden Euro oder 27 Prozent des gesamten Lebensmittelmarktes (brutto auf Basis von Verkaufspreisen). Auf Lieferanten-Ebene nennt oekolandbau.de folgende Vor-Corona-Zahlen: „Am Netto-Einkaufsvolumen für Lebensmittel in der AHV in Höhe von 37,6 Milliarden Euro haben die Bio-Produkte einen Anteil von knapp 0,5 Milliarden Euro. Das entspricht nur 1,3 Prozent“. Anders gesagt: Neun Prozent AHV-Bio wie in Österreich würden für die Gastro-Beliefernden einen zusätzlichen Netto-Umsatz von 2,9 Milliarden Euro bedeuten.
Andererseits: Große Bio-Träume für die AHV gab es schon zu Künasts Zeiten. Seit 2004 gibt es das Programm „Bio kann jeder“ für Kitas und Schulen. Seither hätten „bundesweit rund 36.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer etwa 1.700 Workshops besucht“ heißt es in der Bilanz auf oekolandbau.de. Ebenso lange gibt es das BioMentoren-Netzwerk, dessen bioaffine Großküchenchefs Kolleg*innen beim Umstellen auf Bio helfen. Die letzte der vielen Initiativen und Programme in diesem Bereich war das 2021 von der damaligen Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner gestartete BioBitte. Das Ergebnis all dieser Anstrengungen sind die jetzigen 1,3 Prozent Bio-Anteil in der AHV. Das motiviert potentielle Bio-Lieferanten nicht unbedingt, in diesen Bereich einzusteigen.
Doch: „Wir haben eine andere Zeit: die Handlungsnotwendigkeit ist größer geworden und die Gäste haben sich verändert“, sagt Philipp Stierand. Der Geschäftsführer des Unternehmens Speiseräume F+B begleitet mit seiner Kantine Zukunft und mit Förderung durch die Stadt Berlin Gemeinschaftsküchen bei der Umstellung. 35 Betriebe haben den Prozess bisher durchlaufen. Ihr durchschnittlicher Bio-Einsatz liegt jetzt bei 61 Prozent – bei weiterhin moderaten Preisen.
„Die Betriebe brauchen für die Transformation den Blick von außen, Know-how und Beratung auf Augenhöhe“, sagt Stierand. Rund 70 Stunden begleiten er und sein Team eine Küche – auch bei der praktischen Arbeit. Den Ansatz für seine Kantine Zukunft hat Stierand sich in Kopenhagen abgeschaut. Die dänische Hauptstadt hat innerhalb weniger Jahre damit einen Bio-Anteil von 90 Prozent in ihren Küchen erreicht. Doch dafür braucht es Kommunen, die wie Kopenhagen bereit sind, viel Geld in die Hand zu nehmen und auch die Rahmenbedingungen zu ändern, etwa bei der Vergabe von Aufträgen oder der Ausstattung von Küchen. „Der Staat darf sich eine gute Gemeinschaftsgastronomie nicht nur wünschen, sondern muss sie auch bestellen“, sagt Stierand dazu.
Die Zeichen stehen auf Bio
Einige Kommunen gehen diesen Weg entschlossen, etwa Berlin oder (nach längerem Stillstand) die Stadt München. Dort soll in allen Kantinen und städtischen Einrichtungen bis Mitte 2025 ein Anteil an bio-regionalen Lebensmitteln von 60 Prozent erreicht sein. Auch einige Bundesländer haben sich mehr Bio in ihren Kantinen auf die Fahnen geschrieben.
Die Bundesregierung veröffentlichte im November 2022 Förderrichtlinien für die Bio-Beratung von Großküchen. Sie übernimmt bis zu 80 Prozent der Beratungskosten – wenn das Ziel bei mehr als 30 Prozent Bio liegt. Zudem will sie über das Ökolandbaugesetz die Bio-Zertifizierung für die AHV und die Bio-Auslobung der Produkte erleichtern. Die geplante Verordnung ist nach Einschätzung des BNN ein guter Ansatz, es braucht aber noch einige Verbesserungen, so zum Beispiel die Zusammenlegung der Zertifizierung für Facheinzelhandel und Gastronomie, um Aufwand und Kosten zu senken. Neben eines Bio-Anteils von mindestens 50 Prozent in den Kantinen des Bundes und der Finanzierung von erfolgreichen Schulungsprogrammen in AHV-Einrichtungen fordert der Bundesverband gerade auch für Bio-Märkte, die ein Bistro betreiben, Kontrollkostenzuschüsse.
Im Rahmen der Weiterentwicklung der Zukunftsstrategie ökologische Landwirtschaft (ZöL) wurde vom BMEL ein Kompetenzteam „AHV“ eingerichtet, in dem auch BNN-Mitgliedsunternehmen beteiligt waren. Die Vorschläge des Kompetenzteams zielen auf die grundsätzliche Stärkung von Bio in der AHV. Auf der BIOFACH 2023 wurden sie der Fachöffentlichkeit vorgestellt (Ergebnisse s. Kasteninfo).
Nützliche Links rund um das Thema "Außer-Haus-Verpflegung":
- kantine-zukunft.de - Die Initiative "Kantine Zukunft Berlin" strebt die nachhaltige Transformation der Gemeinschaftsgastronomie in Berlin an
- biospeiseplan.de - Auf dieser Plattform haben Sie die Möglichkeit, Ihre wöchentlichen Speisepläne zu erstellen und zu verwalten. Darüber hinaus erhalten Sie detaillierte Informationen zur Kostenkalkulation sowie zu den Nährwerten der einzelnen Gerichte.
- biostaedte.de - Die Internetseite informiert über das Biostädte-Netzwerk in Deutschland.
- bio-bitte.info - BioBitte ist eine Plattform, die lokale Akteurinnen und Akteure dabei unterstützt, den Einsatz von Bio-Lebensmitteln in der Außer-Haus-Verpflegung zu steigern. Auf dieser Website finden Sie eine Vielzahl von nützlichen Informationsmaterialien, praktischen Beispielen und aktuellen Meldungen rund um das Thema.
- biokannjeder.de - Bio kann jeder informiert über eine nachhaltige Ernährung in Kitas und Schulen.
- biomentorenwebsite.wordpress.com - Ein Netzwerk aus Gastronomen, Betriebsleiter, Küchenchefs und Einkäufer und repräsentieren durch verschiedene Funktionen, Betriebstypen und Regionen die gesamte Außer-Haus-Verpflegung in Deutschland. Sie unterstützen Einrichtungen bei der Umstellung auf Bio.