EU-Öko-Verordnung im Praxischeck

06. August 2020 Aktuelles

Interview mit Dr. Günter Lach und Martin Rombach, Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats des BNN

Was bedeutet die neue EU-Öko-Verordnung in der Unternehmenspraxis konkret? Über neue Pflichten und Rechte für Lebensmittelunternehmen und die Tücken von Rückstandsproben haben wir mit Martin Rombach und Dr. Günter Lach gesprochen. Sie haben gemeinsam mit drei weiteren Autoren ein Manual veröffentlicht, das die am häufigsten diskutierten Aspekte der neuen Öko-Verordnung – die am 1. Januar 2021 in Kraft treten sollte, womöglich aber um ein Jahr verschoben wird – praxisnah einordnet.

 

Sie haben im Mai dieses Jahres ein Manual zur neuen EU-Öko-Verordnung veröffentlicht. Wo gab ́s aus Ihrer Sicht Klärungsbedarf?

Martin Rombach: Das erste Manual zum Rückstandsmanagement in Unternehmen und Kontrollstellen war aus dem Jahr 2006 und damit natürlich nicht mehr aktuell. Durch die Revision der EU-Öko-Verordnung ergeben sich neue Fragen: Wie lässt sich die Verordnung in unserem Umfeld der chemiebetriebenen Landwirtschaft und mit vielen Rückständen in der Umwelt anwenden? Gemeinsam mit fünf Autoren aus verschiedenen Fachbereichen und mit einer Förderung aus dem Bundesprogramm BÖLN haben wir dann versucht, diese Fragen für die Kontroll- und Betriebspraxis zu beantworten.

Günter Lach: Viele Lebensmittelhersteller, -händler und Lageristen fragen nach Leitfäden, wie man sich in dem Konstrukt der Öko-Verordnung künftig bewegen soll. Unser Ansatz war es, aus der Praxis heraus zu klären, was die Verordnung konkret bedeutet. Zum Beispiel: Wo, wie und wie oft muss ich Proben nehmen? Diese Fragen sind in der Öko-Verordnung so erst mal ungeklärt und wir haben versucht, das in unserem Manual zu beantworten.

Welche Aspekte sind dabei für ökologische Lebensmittelhersteller und den Handel besonders relevant?

Martin Rombach: Da gibt es drei zentrale Aspekte: Was kann man an Rückstandsfreiheit überhaupt erwarten in einer Umwelt, die durch die konventionelle Landwirtschaft geprägt ist? Wie beeinflusst die Entnahme der Probe und die Analytik das Ergebnis? Was bedeutet es, dass die Rechte und die Verantwortung des Unternehmens sehr gestärkt wurden?

Günter Lach: Bei den Rückstandsproben lag der Fokus bisher sehr stark auf der Laboranalytik. Das birgt aber die Gefahr, dass die Ergebnisse nicht aussagekräftig sind, denn inzwischen gibt es zwar sehr präzise Messergebnisse der Labore, die Tücken liegen aber in der Probenahme. Dazu gibt es kaum Vorgaben. Da haben wir jetzt auch nicht die eine Lösung gefunden, aber wir haben Lösungsansätze im Manual diskutiert und wir sind, wie ich glaube, zu einigen neuen und guten Ansätzen gekommen.

In einem inzwischen überholten Entwurf der neuen EU-Ökoverordnung wurde ein fixer Wert von 0,01mg/kg für nicht zugelassene Stoffe festgeschrieben. Was hätte das in der Praxis bedeutet, wenn ein Grenzwert mit der Verordnung eingeführt worden wäre?

Martin Rombach: Ein Messwert spiegelt nicht die tatsächlichen Verhältnisse in der Breite ab – das ist eine Illusion, von der man sich verabschieden muss. Eine Kontamination ist immer zufällig: Je nachdem, wo in der Ware die Probe entnommen wird, ist der Kontaminations-Gehalt unterschiedlich. Keine Probe kann die Beschaffenheit eines Lebensmittels an jeder beliebigen Stelle abbilden. Deswegen ist die Prozesskontrolle nach wie vor das Mittel der Wahl: Hier wird der Waren-Weg verfolgt statt nur am Ende drauf zu schauen und zu entscheiden, ob es bio ist oder nicht.

Ist denn dann die Kontrolle des Endprodukts überhaupt sinnvoll?

Günter Lach: Ja, in dem Sinne, dass das Bio-Produkt die Anforderungen der lebensmittelrechtlichen Verordnungen erfüllen muss und das natürlich überprüft werden muss, und zwar am Endprodukt. Darüber hinaus ist der BNN-Orientierungswert ein Ansatz, der sich seit 18 Jahren bewährt hat und über die gesetzlichen Anforderungen hinausgeht. Wenn die Probe über dem Orientierungswert liegt, wird die Ware zumeist geblockt und es wird nach dem Grund der Kontamination gesucht, und zwar im Prozess der Herstellung: Ist es ein nicht beeinflussbarer Umstand, der dazu geführt hat oder wurde gegen die EU-Ökoverordnung verstoßen? Im BNN-Monitoring wird explizit nach Problemen mit Pestiziden gesucht, um sie dann lösen zu können.

Martin Rombach: Dabei steht auch der Aspekt im Mittelpunkt, dass Verbraucher*innen zu Recht erwarten, dass bei einem Bio-Produkt keine Pestizide in der gesamten Produktion verwendet werden. Das ist in der Kontroll-Verordnung als Prinzip der „Lauterkeit“ beschrieben – Bio-Unternehmer*innen müssen dafür sorgen, dass das Produkt alle Vorschriften erfüllt.

Ein anderer Stoff, der in der Bio-Branche für viel Wirbel sorgt, ist die Phosphonsäure. Lange Jahre war sie als Pflanzenstärkungsmittel im Bio-Anbau zugelassen, seit 2013 ist sie als Pestizid eingestuft und damit in der Bio-Landwirtschaft verboten. Der Orientierungswert des BNN liegt bislang hier bei 0,05 mg/kg, ein anderer Verband hat hier den Wert 0,2 mg/kg empfohlen. Wie kommen diese unterschiedlichen Einschätzungen zustande?

Günter Lach: Da wurden zwei ganz unterschiedliche Ansätze verfolgt. Der BNN hat sich bisher an der Bestimmungsgrenze der Labore, die für Phosphonsäure lange Zeit bei 0,05 mg/kg lag, orientiert. Basierend auf der Auswertung einer großen Anzahl anonymisierter, aktueller Datensätze aus verschiedenen Laboren ist nun jetzt ein neues Factsheet erarbeitet worden, das in den nächsten Wochen veröffentlicht werden soll und eine solide wissenschaftliche Beurteilungsgrundlage bieten wird. Das Ziel ist es, dass der Phosphonsäure-Wert in Bioprodukten insgesamt abnimmt. Dafür müssen wir einen Anreiz schaffen.

Gemeinsam mit dem BNN haben Sie das Verfahren der Laboranerkennung überarbeitet. Was war der Anlass und was ist neu?

Günter Lach: Das BNN-Laboranerkennungsverfahren gibt es seit 15 Jahren; 2014 wurde es zuletzt überarbeitet. Seitdem gab es erhebliche analytische Entwicklungen. Zum Beispiel hat Glyphosat in den letzten Jahren einen ganz anderen Stellenwert erhalten. 2014 war Glyphosat noch kein wirklich großes Thema. In den neuen Leitlinien haben wir Glyphosat jetzt als einen der maßgeblichen Parameter mit aufgenommen. Auch andere polare Pestizide haben sich in den letzten Jahren als sehr relevant herausgestellt und die Labore haben ihre Analytik ausgebaut. Bei den sauren Herbiziden wurde vor einigen Jahren ein weiterer Analyseschritt eingeführt, so dass sie erstmals quantitativ korrekt bestimmt werden. Den Bereich der Kontaminanten haben wir neu organisiert, denn hier macht die Unterscheidung nach Produktgruppen keinen Sinn. Neu aufgenommen haben wir die Alkaloide, weil die gerade bei den Kräuter-, Gewürz-, Tee- und Honigproduzenten eine wichtige Rolle im Bezug zur Lebensmittelsicherheit spielen. Honig- und Bienenprodukte haben wir im Bereich der Pestizide neu aufgenommen, weil diese mehr und mehr im Fokus stehen. Inzwischen sind über 40 Labore europaweit durch den BNN anerkannt. Bei diesen ist klar: Hier können BNN-Mitglieder ihre Proben kompetent und zuverlässig analysieren lassen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Dorothée Quarz

 

Das Manual „Laboranalyse und Pestizidrückständen im Kontrollverfahren für den ökologischen Landbau im Rahmen der neuen EU-Öko-Verordnung“ kann in deutscher und englischer Sprache unter www.oeko-kontrollstellen.de heruntergeladen oder als Print-Ausgabe bestellt werden.

 

Beide sind Gründungsmitglieder des wissenschaftlichen Beirats des BNN. Der wissenschaftliche Beitrat berät den Bundesverband Naturkost Naturwaren e.V. ehrenamtlich in analytischen Fragestellungen. Als weiterer Experte gehört Prof. Dr. Thomas Simat von der Technischen Universität Dresden dem Beirat an.