30. November 2021 • Aktuelles
Der Biofachhandel ist bei Getränken eine Hochburg der Mehrwegflasche. Deutlich wird dies vor allem bei Säften, die in Discountern und Supermärkten kaum in Mehrweg zu finden sind.
Es war einmal ein Land, in dem 72 Prozent der Getränke in Mehrwegflaschen verkauft wurden. Besonders hoch war der Anteil bei Mineralwasser und Bier. Doch dann machte sich die Einwegflasche aus dem Kunststoff PET breit und verdrängte das Mehrwegglas aus den Regalen. Heute, 30 Jahre später, liegt die Mehrwegquote in Deutschland noch bei 42 Prozent. Tatsächlich sind es knapp 33 Prozent. Denn die amtlichen Zahlen beziehen sich nur auf die Getränkesegmente, bei denen ein Einwegpfand vorgeschrieben ist. Saft, Milch, Wein und Spirituosen fehlen bisher in dieser Statistik. Sie machen ein Viertel des deutschen Getränkeverbrauchs aus und kommen zusammen nur auf einen Mehrweganteil von 4,6 Prozent. Hier wird erst im nächsten Jahr teilweise ein Einwegpfand fällig. Gleichzeitig wurden 2019 laut Umweltbundesamt in Deutschland 18,9 Milliarden Einwegkunststoffflaschen verbraucht. In einem Bioladen sind PET-Flaschen (und Dosen) bis heute so selten wie Rebhühner in der Agrarlandschaft. Das hat mit der „Jute statt Plastik“-Gesinnung der Pioniere zu tun, aber auch mit der Qualitätsphilosophie der Bio-Hersteller. Plastikverpackung für Getränke gilt für die meisten als No-Go.
„Glas passt als inertes Verpackungsmaterial am besten zur Bioqualität“, sagt Thomas Maier, zusammen mit seinem Bruder Matthias Geschäftsführer von Beutelsbacher. „Ich kann doch nicht vom Bauern verlangen, er soll möglichst alle Fremdstoffe von seinem Obst fernhalten und dann fülle ich den Saft in Plastikflaschen, aus denen die Fruchtsäure Stoffe lösen kann.“ Bei Beutelsbacher verzichten sie deshalb auch auf Kartonverpackungen. Branchenführer Voelkel füllt zwar für Handelsmarken Säfte auch in Getränkekartons (siehe Kasten). Für die eigene Marke setzt Jakob Voelkel, der als Werksleiter für die Produktion verantwortlich ist, hingegen klar auf Mehrweg: „Das ist gut für die Umwelt und gut fürs Produkt.“
Gut für die Umwelt, das belegt eine Ökobilanz des Heidelberger Ifeu-Institutes. Sie verglich für Saft die 1 Liter-Mehrwegflasche mit PET- Einweg und Getränkekartons. Dabei zeigte die Mehrwegflasche gegenüber PET Einweg „signifikante Vorteile“. Sie schnitt in fast allen Umweltbereichen deutlich besser ab. Dennoch wurde 2020 nach Angaben des Verbandes der deutschen Fruchtsaft-Industrie (VdF) die Hälfte der Frucht-, Gemüsesäfte und -nektare in PET-Einweg abgefüllt und nur 12 Prozent in Mehrwegglas. Die restliche Menge kommt in Getränkekartons in die Regale. In der IFEU-Studie schneiden Getränkekartons bei Fruchtsäften nicht schlechter ab als die Mehrwegflasche. Im Detail liegt der Karton beim Kriterium Klimawandel vor Mehrweg- glas. Der Grund liegt im höheren Energieverbrauch beim Transport und bei der Reinigung. Die Studie wurde im Auftrag der Kartonhersteller erstellt, in Absprache mit dem Umweltbundesamt und nach dessen Standards.
Die Deutsche Umwelthilfe bezweifelt allerdings die Umweltfreundlichkeit von Getränkekartons. Denn diese schneiden beispielsweise, wie auch die Ifeu-Bilanz belegt, bei der Überdüngung von Gewässern und dem Landverbrauch deutlich schlechter ab. Grund dafür ist die Herstellung der Frischfasern. Was die Produktqualität angeht, liegt die Glasflasche vorne. Weil sie 100 Prozent gasdicht ist und keinerlei Stoffe an den Inhalt abgibt. „Kartonverpackungen dagegen sind nicht absolut gasdicht, so dass nach einigen Monaten Oxidationsprozesse beginnen“, erklärt Jacob Voelkel. Deshalb sei bei PET und Karton das MHD mit einem Jahr auch niedriger als bei Glasmehrweg mit zwei Jahren.
Das Mehrwegsystem bei Saftflaschen in den Größen 0,2 Liter, 0,7 Liter und 1,0 Liter hat der Branchenverband VdF 1972 aufgebaut. Doch es geriet wie die Mehrwegpools der Brauereien und Mineralbrunnen Anfang der 90er Jahre unter Druck. Damals lag der Mehrweganteil bei Saft und Saftgetränken noch bei knapp 40 Prozent. Es waren vor allem die regionalen mittelständischen Abfüller, die den Pool nutzten, während die großen damals auf Einwegglas setzten. Später löste der Karton das meiste Einwegglas ab, danach kam die PET-Flasche. 332 Mitglieder hat der VdF und davon nutzen, wie der Verband schreibt, etwa 300 das Mehrwegsystem. Klingt gut. Aber 70 Prozent des Branchenumsatzes von 3,37 Millionen Euro in 2020 entfallen auf nur sieben Mitglieder. In der Gruppe dominiere PET-Einweg als Verpackung, schrieb das IFEU in seiner Ökobilanz. In der mittleren Gruppe mit 23 Unternehmen zwischen 10 und 100 Millionen Euro Jahresumsatz spiele der Getränkekarton eine hervorgehobene Rolle. Glas sei bei den vielen kleinen Keltereien die Verpackung der Wahl.
Nicht erwähnt hat das IFEU, dass Voelkel und Beutelsbacher als Marktführer und Zweiter im Bio-Bereich mit Umsätzen von 92 Millionen Euro (2020) und 14,4 Millionen Euro (2019) zur mittleren Gruppe gehören. Mit ihren Mehrwegabfüllungen sind sie wesentliche Stützen des Systems. Rund 250 Millionen VdF-Mehrwegflaschen seien pro Jahr im Verkauf, schreibt der VdF. Davon haben nach Unternehmensangaben Voelkel 60 Millionen und Beutelsbacher 12 Millionen befüllt.
Bei solchen Mengen spielt es durchaus eine Rolle, wenn etwa Voelkel in einer seiner beiden Mehrwegabfülllinien die 40 Jahre alte Flaschenspülanlage durch eine neue ersetzt. Sie verbraucht nur halb soviel Wasser und Strom“, sagt Jacob Voelkel. „Das macht Mehrweg noch umweltfreundlicher.“ Thomas Maier beschreibt, wie eine solche vollautomatische Waschanlage funktioniert: Sie nimmt die Flaschen aus den Kisten und befördert die Kisten in eine eigene Waschstraße. Die Flaschen werden entschraubt, die Deckel mit Pressluft in einen Container befördert und später recycelt. Die Flaschen durchlaufen mehrere Spülgänge mit verdünnter Natornlauge, die in Tanks aufgefangen und regeneriert wird. Die Anlage schleust die abgelösten Etiketten aus und presst sie. Später gehen sie in die Papierfabrik zum Recycling. Zum Schluss werden die Flaschen mit Trinkwasser ausgespült, optioelektronisch überprüft und dann neu befüllt. Es erleichtert die Reinigung, wenn das Leergut ordentlich und gut sortiert zurückkommt. „Unsere Naturkostkunden sind da echt gut“, lobt Thomas Maier.
Würden alle alkoholfreien Getränke ausschließlich in Mehrweg- statt in Einwegflaschen abgefüllt, ließen sich jedes Jahr 1,4 Millionen Tonnen CO2 einsparen.
Aktion Pro MehrwegDiese Mehrwegexpertise von Kund*innen und Händler*innen ist für den Biofachhandel ein wertvolles Gut. Denn Mehrweg kommt zurück, langsam, aber vermutlich nachhaltig. Die von der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM) für das Umweltbundesamt erhobenen Daten zeigen von 2018 auf 2019 einen Anstieg bei Glasmehrweg (über alle Getränkesegmente) von 1,2 Prozent. Gleichzeitig ging die in Einweg-Kunststoffflaschen abgefüllte Getränkemenge um 1,5 Prozentpunkte zurück. Marktforschungsdaten von AC Nielsen und GfK-Consumer Scan zeigten auch für 2020 leicht steigende Mehrweganteile bei Mineralwasser, Fruchtsäften und Erfrischungsgetränken, meldete der Verband Pro Mehrweg.
Die jährliche Verbraucherumfrage des Arbeitskreises Mehrweg zeigte Anfang 2021, dass deutlich mehr Menschen Einweg und Mehrweg besser unterscheiden können. „In Deutschland wird wieder öfter bewusst zu Getränken in Mehrwegflaschen gegriffen“, kommentierte Clemens Fleischmann, Geschäftsführer des Arbeitskreises, die Umfrageergebnisse. Ursache sei das steigende Bewusstsein für Klimaschutz, aber auch eine wachsende Skepsis gegenüber PET-Flaschen. Die bisherige Politik hat zu diesem Mehrwegwachstum nichts beigetragen, sondern mit ihrer Pfandregelung Einwegplastik und Dosen salonfähig gemacht. Die Erwartungen an die Ampelkoalition, künftig einen aktiven Mehrwegkurs zu fahren und das Verpackungsgesetz entsprechend zu ändern, sind groß. Die Regierung solle eine Lenkungsabgabe auf Einweg-Plastikflaschen und Dosen von mindestens 20 Cent zusätzlich zum Pfand einführen sowie Einweg und Mehrweg auf dem Produkt klar kennzeichnen, fordern die in der Mehrwegallianz zusammengeschlossenen Verbände. Das Umweltbundesamt lässt derweil weitere Maßnahmen untersuchen, etwa Vertriebsquoten und Angebotspflichten im Handel oder zusätzliche ökonomische Anreize wie eine niedrigere Mehrwertsteuer für mehr- wegverpackte Getränke oder eine Steuer auf Einwegverpackungen. Die Politik wird sich bewegen müssen, sagt Jacob Voelkel: „In zehn Jahren wird Einweg kaum noch akzeptiert werden.“
Autor: Leo Frühschütz