Projekt ReformBIO: Erste Erfolge bei der Reformulierung von Knuspermüslis

02. September 2022 Aktuelles Interview

Kirsten Buchecker und Lisa Nitze forschen in ihrem Labor an neuen zuckerarmen Rezepturen.
Kirsten Buchecker und Lisa Nitze forschen an neuen zuckerarmen Rezepturen. Bildquelle: Hochschule Bremerhaven

Im Projekt ReformBIO, an dem der BNN beteiligt ist, werden für die Zuckerreduktion spezielle Reformulierungsstrategien für die Bio-Branche entwickelt. Erste technologische Lösungen liegen nun vor.

Das, was wir essen, soll auch gesund sein. Zu viel Zucker ist es nicht. Die meisten verarbeiteten Lebensmittel enthalten mehr Zucker, als gut für uns wäre – auch Bio-Lebensmittel bilden da selten eine Ausnahme. Spätestens mit der Einführung des Nutri-Scores hat das Thema Zuckerreduktion und damit verbunden, die Reformulierung von Rezepturen, auch die ökologische Lebensmittelwirtschaft erreicht. Im Projekt ReformBIO, an dem der BNN beteiligt ist, werden für die Zuckerreduktion spezielle Reformulierungsstrategien für die Bio-Branche entwickelt. Erste technologische Lösungen liegen nun vor. Über die ersten Erfolge bei Knuspermüslis und die aufwendige Forschungsarbeit sprachen wir mit Projektleiterin Kirsten Buchecker und der wissenschaftlichen Mitarbeiterin, Lisa Nitze, beide Lebensmitteltechnologinnen an der Hochschule Bremerhaven.

Für viele von uns gehört Müsli zu einem gesunden Frühstück und guten Start in den Tag. Vor allem Knuspermüslis liegen voll im Trend. Was ist das Besondere an einem Knuspermüsli?

Lisa Nitze: Für ein Knuspermüsli werden meist vier Komponenten miteinander vermengt und mit etwas Öl gebacken: Getreideflocken, Süßungsmittel wie Saccharose aus Rohrzucker oder Rübenzucker, Mehle, Schrote oder glukosehaltige Sirupe als Bindemittel sowie Gewürze, wie zum Beispiel Vanille. Durch das Backen dieser Mischung entstehen dann die sogenannten Cluster („Klumpen“).

Wie groß diese Cluster sind, ist besonders abhängig vom Mengenverhältnis und der Art der eingesetzten Zutaten. Denn jede einzelne Zutat hat unterschiedliche Effekte auf die Rezeptur. Im Vergleich dazu liegen bei einem klassischen Müsli alle Komponenten im Endprodukt einzeln vor. Hier kommt ein potentieller leichter Crunch nur durch einzelne Bestandteile, meist Extrudate, Reispops oder Cornflakes zustande.

Wenn beispielsweise die Süße reduziert werden soll, was bedeutet das für das Produkt? Funktioniert dann die Rezeptur nicht mehr wie bisher?

Kirsten Buchecker: Ja, genau das ist für die Produktentwicklung eine große Herausforderung. Es verändert nicht nur den Geschmack, sondern auch die Textur, denn durch eine Zuckerreduzierung wird die Clusterung negativ beeinflusst. Es führt dazu, dass statt Cluster, ummantelte Flocken beim Backprozess entstehen. Hinzu kommt der gleichzeitige Einfluss auf Geschmack und Textur verschiedener Kombinationen aus Süßungs- und Bindemittel. Gerade Zuckersirupe auf Fruchtbasis bringen ganz eigene Geschmackseindrücke in das Produkt. Nicht alle passen. Für die Reformulierung der Rezepturen haben wir daher intensiv an Lösungsmöglichkeiten und Alternativen geforscht.

Dabei konnten wir feststellen, dass eine bestimmte Zusammensetzung aus löslichen Kohlenhydraten (Zuckern) bessere clusterbildende Eigenschaften aufweist als andere Zusammensetzungen.

Wie läuft eine Reformulierung in der Praxis ab? Können wir uns das wie „experimentelles Versuchskochen“ vorstellen?

Lisa Nitze: Die Reformulierung ist eine Mischung aus Wissenschaft und Experiment. Nach Literaturrecherche und Analyse der Ausgangsrezeptur und ihrer Nährwerte wird die Zielformulierung der Rezeptur - in unserem Fall die 30prozentige Reduktion von Zucker - mit einem angestrebten Nutri-Score aufgestellt. Im experimentellen Teil entwickeln wir dann darauf aufbauend Rezeptur-Prototypen, die analytisch und praktisch erprobt und bei Bedarf angepasst oder überarbeitet werden. So haben wir z.B. festgestellt, dass nur bestimmte Zuckersirupe zu einer Clusterbildung führen. Danach folgen dann die Beurteilung und Beschreibung der optimierten Rezepturen durch ein geschultes Sensorik-Panel sowie ein Konsumententest. Mit beiden können wir herausfinden, welche sensorischen Attribute besonders ausschlaggebend für die Akzeptanz oder Ablehnung der einzelnen Entwicklungsmuster sind.

Das eine ist eine funktionierende Rezeptur unter Laborbedingungen. Aber wie kommt das bei Verbraucher*innen an?

Lisa Nitze: Um verwertbare Ergebnisse aus einem Verbrauchertest zu erzielen, ist es nötig vorab die Zielgruppe zu ermitteln, die diese Produkte kaufen würde. Bei uns waren das Bio-Käufer*innen, die regelmäßig Knuspermüsli essen. Entsprechend dieser Zielgruppen haben wir über 60 Verbraucher*innen zum Testen eingeladen und anhand sensorischer Skalen die Attribute Aussehen, Geschmack, Geruch, Konsistenz, Süße und Knusprigkeit bewerten lassen.

Kirsten Buchecker: In unserem Konsumententest erzielte die Rezeptur mit Ackerbohnenmehl, als Clusterbildner, und Rohrohrzucker, als eingesetzter Zucker, wie auch die Rezeptur mit Dattelsirup, als Saccharose-Alternative, die höchste Akzeptanz bei den Tester*innen. Wobei wir feststellen konnten, dass alle um 30 Prozent zuckerreduzierten Prototypen in Geschmack und Konsistenz gefallen haben. Der zuckerreduzierte Prototyp mit Rübenzucker, die Süße, die überwiegend in der Biobranche bei Knuspermüsli eingesetzt wird, schnitt dabei in Geschmack und Konsistenz am schlechtesten ab.

Was bedeuten die Ergebnisse für die Knuspermüslis und für andere Produktgruppen?

Kirsten Buchecker: Mit nahezu allen sieben Knuspermüsli-Prototypen ist es uns gelungen, ein Ziel des Forschungsprojekt ReformBIO zu erreichen: Eine dreißigprozentige Zuckerreduktion mit einem Nutri-Score A und einer hohen Verbraucherakzeptanz! Mit diesen Rezepturen gelingt es uns ebenfalls, die Vorgaben der Health-Claims-Verordnung zu erfüllen. Wir können mit den Claims „reduzierter Zuckergehalt“ und „Ballaststoffquelle“ oder „hoher Ballaststoffgehalt“ ausloben. Leider ist die Entwicklungsarbeit für die Knusper müslis nicht eins zu eins übertragbar auf die anderen Produktgruppen, die in unserem Projekt untersucht werden. Bei Fruchtzubereitungen für Fruchtjoghurts haben wir es beispielsweise mit ganz anderen und unterschiedlichen Texturen und Anforderungen zu tun. Hier konnten wir feststellen, dass eine Zuckerreduktion zu einer intensiveren Fruchtwahrnehmung führen kann. Die Reformulierung wird hier anders verlaufen. Erfolgreich könnte hier beispielsweise ein Food-Pairing sein, die Kombination von Lebensmitteln, die wichtige Aromakomponenten gemeinsam haben und gut miteinander harmonisieren.


Text und Interview: Marion Schlage und Dorothea Schmidt