04. August 2023 • Aktuelles
Die EU hat ambitionierte Pläne, den Pestizideinsatz zu halbieren – aber zu welchem Preis? Was wird siegen: Ökologie oder Ökonomie?
Die EU-Kommission hat den Plan vorgelegt, bis 2030 den Pestizideinsatz zu halbieren. Doch die Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pestiziden (SUR) wird von konservativen Politiker*innen heftig attackiert. Nun steht ein „Kuhhandel“ im Raum, der es in sich hat: Die Pestizidreduktion soll nur kommen, wenn die Neue Gentechnik dereguliert wird.
Am 22. Mai 2023 ging es im Agrarausschuss des Europäischen Parlaments zur Sache: Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans machte den Abgeordneten deutlich, dass das europäische Gentechnikrecht nur aufgeweicht
wird, wenn die konservativen Abgeordneten der Europäischen Volkspartei (EVP) der Pestizidreduktion zustimmen. „Wenn Sie in ihren Schützengräben bleiben und am Status Quo festhalten, bedeutet dies, dass es keine SUR und keine NGTs gibt“, wird Timmermans zitiert.
Der Vorgang zeigt nicht nur, wie vehement sich die konservativen Parteien in Europa gegen einen ökologischen Umbau der europäischen Landwirtschaft wehren. Es zeigt vor allem auch, wie stark in der EU-Kommission der Irrglaube vorherrscht, die neue Gentechnik könne einen konstruktiven Beitrag zur Pestizidreduktion leisten. Dabei steht dieses Argument auf wackeligen Füßen.
Seit Mitte der 1990er Jahre entwickeln Agrochemiekonzerne weltweit ein neues Geschäftsmodell, das den Verkauf von Pestiziden mit dem von Saatgut verbindet. Stein des Anstoßes: die Gentechnik. Die Konzerne entwickelten gentechnisch veränderte Pflanzen, die gegen bestimmte Schädlinge oder Herbizide resistent sind. Gleichzeitig haben sie Pestizide entwickelt, die speziell auf diese gentechnisch veränderten Pflanzen abgestimmt sind. Durch den Verkauf des gentechnisch veränderten Saatguts und der dazu passenden Pestizide konnten die Unternehmen an beiden Produkten verdienen.
Bereits vor zwanzig Jahren behaupteten Konzerne und einige Wissenschaftler*innen, dass der Einsatz von Gentechnik zu weniger Pestiziden und Insektiziden auf den Äckern führen würde. Tatsächlich führten vor allem herbizidresistente Gentechnik-Pflanzen zu einem sprunghaften Anstieg des Pestizideinsatzes, wie die österreichische Umweltorganisation Global2000 in einem im Mai 2022 veröffentlichten Report schreibt.
Glyphosat ist ein weit verbreitetes Totalherbizid, das zur Unkrautbekämpfung eingesetzt wird. Es wurde erstmals in den 1970er Jahren von dem Unternehmen Monsanto entwickelt und unter dem Markennamen Roundup vertrieben. Zahlreiche Studien verweisen mittlerweile auf die potenziell negativen Folgen für Gesundheit und Umwelt. Das Gift tötet nicht nur Unkräuter ab, sondern schädigt die Artenvielfalt in der Agrarlandschaft. Besonders Mikroorganismen und Insekten leiden auf unterschiedliche Weise, wenn sie Glyphosat aufnehmen.
„In den USA hat der Einsatz von Glyphosat dazu geführt, dass sich resiliente Wildkräuter entwickelt haben, denen das Mittel nichts mehr anhaben konnte“, sagt der Leiter des BNN-Pestizidmonitorings Holger Scharpenberg. „Das führte zum Einsatz weiterer Herbizide — und setzte eine gefährliche Spirale in Gang, die zu mehr chemischen Giften auf den Feldern führte.“
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Weltweit stieg der Glyphosatverbrauch von 51.000 Tonnen im Jahr 1995 auf 747.000 Tonnen im Jahr 2014. Dieser Anstieg steht direkt im Zusammenhang mit der starken Zunahme des Anbaus von gentechnisch verändertem Soja in Lateinamerika.
Bereits 2017 bestand die Chance, den Wirkstoff Glyphosat auf EU-Ebene zu verbieten. Dies scheiterte jedoch unter anderem daran, dass der damalige Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt entgegen der Absprache der Bundesregierung für eine Verlängerung der Zulassung in der EU stimmte. Mit der EU-Biodiversitätsstrategie 2030 hat die EU-Kommission
wirksame Maßnahmen angekündigt, um den Pestizideinsatz in Europa um 50 Prozent zu reduzieren. Doch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat kürzlich in einem lange erwarteten Gutachten den Einsatz von Glyphosat als unbedenklich eingestuft.
Das hat bei Umwelt- und Verbraucherorganisationen und natürlich auch in der Biobranche Empörung und scharfe Kritik ausgelöst. Zumal die Risikobewertung der Behörde als Grundlage für die Entscheidung der EU-Kommission und der Mitgliedsstaaten gilt, ob die Zulassung von Glyphosat verlängert wird oder nicht. Zwar gibt es keine Verpflichtung, das Gutachten zu berücksichtigen, aber ein Freibrief für alle jene, die aus wirtschaftlichem und politischem Kalkül den Verharmlosungen der Pestizidlobby folgen, ist es schon.
Die aktuelle Bundesregierung plant, Glyphosat ab Anfang 2024 komplett zu verbieten. Damit dieses Vorhaben vollständig umgesetzt werden kann, darf es keine weitere Zulassung in der EU geben. Im Herbst 2023 haben wir erneut die Möglichkeit, das Gift von Europas Äckern zu verbannen. Daher lasst uns gemeinsam für ein Glyphosatverbot einstehen!
Der Beitrag wurde ursprünglich in der Ausgabe 2/2023 der BNN-Nachrichten veröffentlicht.