Marktentwicklung 2022: Ukraine-Krieg und Inflation fordern Biobranche

02. September 2022 Aktuelles Themen

Die weltpolitische Lage ist angespannt. Die Folgen des russischen Angriffskrieges für die Lebensmittelwirtschaft fordern auch die Biobranche heraus. Doch diese zeigt sich teilweise resilient.

In der Hochzeit der Corona-Pandemie erlebte die Branche außergewöhnliche Umsatzzuwächse von bis zu 20 Prozent (2020). Aufgrund der Corona-Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie fand in den beiden zurückliegenden Jahren die Außer-Haus-Verpflegung kaum statt. Sehr viele Menschen entdeckten in dieser Zeit das Kochen für sich und setzten sich intensiver mit Lebensmitteln auseinander – und das führte sie häufig in den Bioladen.

Das Halbjahr 2022 spiegelt eine ganz andere Situation: Erstmals in ihrer Geschichte sieht sich die Biobranche mit erheblichen Umsatzrückgängen konfrontiert. Unter dem Eindruck von Inflation und Ukraine-Krieg sowie den steigenden Kosten für Energie, Mobilität und Alltagsversorgung hat sich das Einkaufsverhalten der Menschen deutlich verändert. So achten Verbraucher*innen seit Jahresbeginn beim Lebensmitteleinkauf verstärkt auf die Preise. Das macht sich aktuell im gesamten Lebensmitteleinzelhandel bemerkbar.

Markenprodukte finden weniger Absatz, insgesamt geben die Menschen weniger Geld für Lebensmittel aus bzw. reduzieren den Einkauf. Dies zeigt sich auch in den Bioläden. Die Kund*innen kaufen zwar weiterhin Bio, greifen aber verstärkt zu den günstigeren Eigenmarken des Handels.

Hinzu kommt, dass Verbraucher*innen nach dem Wegfall der meisten Corona-Maßnahmen in anderen Bereichen wieder stärker konsumieren, besonders beim Essen außer Haus als auch bei Urlaub und Reisen. Die Menschen gehen wieder in Büros, essen in Kantinen oder Restaurants. Das beeinflusst den Lebensmittelumsatz im Einzelhandel insgesamt – er geht zurück und damit auch der Bio-Konsum.

Umsatzentwicklung im Bio-Großhandel

Laut aktuellem BioHandel-Umsatzbarometer ist der Umsatz im Bio-Einzelhandel im ersten Halbjahr 2022, im Vergleich zum ersten Halbjahr 2021, im Durchschnitt um rund 15 Prozent zurückgegangen. Die rückläufige Umsatzentwicklung des Bio-Einzelhandels spiegelt sich auch entsprechend in der Umsatzentwicklung des Bio-Großhandels wider.

Die BNN-Marktdatenerhebung für das erste Halbjahr 2022 zeigt einen Umsatzrückgang beim Bio-Großhandel von 10,44 Prozent im Vergleich zum ersten Halbjahr 2021. Dieser Rückgang betrifft Frischeprodukte (-10,95 Prozent) ebenso wie Trockenprodukte (-9,65 Prozent). Gegenüber dem ersten Quartal 2022 ist der Umsatz im zweiten Quartal 2022 um 8,34 Prozent gesunken. Im zweiten Quartal ist der Umsatz mit Trockenprodukten mit -12 Prozent deutlich stärker zurückgegangen als der Umsatz mit Frischeprodukten.

Umsatzvergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 belegt Wachstum im Jahr 2022

Die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen haben 2020 und 2021 in der Biobranche zu außergewöhnlichen Umsatzzuwächsen geführt. Zur besseren Einordnung der Umsatzentwicklung in diesem Jahr lohnt daher der Vergleich mit der Umsatzentwicklung von 2019, also vor Beginn der Corona-Pandemie.

Verglichen mit dem ersten Halbjahr 2019 belegen die Umsatzzahlen der BNN-Marktdatenerhebung für den Bio-Großhandel ein Umsatzzuwachs von rund 16 Prozent für das erste Halbjahr 2022. Gegenüber 2019 stieg der Umsatz im Bereich Frische um 15,3 Prozent, im Bereich Trocken um 17,1 Prozent. Trotz der deutlichen Umsatzrückgänge 2022 (im Vergleich zu 2021), liegt der Umsatz des Großhandels im ersten Halbjahr 2022 mit 1,1 Mrd. Euro deutlich über dem Umsatz von 951,15 Millionen Euro des Referenzjahrs 2019, also dem Jahr vor Beginn der Corona-Pandemie.

Preise im Bio-Fachhandel deutlich stabiler

Durch die massiven Preisanstiege bei konventionellen Produkten haben sich die Preisabstände zwischen konventionellen und Bio-Lebensmitteln in den letzten Wochen deutlich verringert. Es zeichnet sich ab, dass der Abstand in den kommenden Wochen weiter schmelzen wird. Ein Faktor für die relative Preisstabilität im Biomarkt liegt in den gewachsenen partnerschaftlichen Geschäftsbeziehungen zwischen den Unternehmer*innen aus Erzeugung, Herstellung und Handel und ihren langfristigen Liefervereinbarungen. Der Biomarkt erweist sich resilienter als der konventionelle Lebensmittelhandel, da er stärker auf regionalen und kleinbäuerlichen Strukturen aufbaut und somit weniger abhängig von globalen Entwicklungen ist. Das macht sich auch in der aktuellen Preisentwicklung bemerkbar. Die Preise für konventionelle Lebensmittel sind u.a. auch deswegen so drastisch gestiegen, weil die Kosten für chemisch-synthetische Pestizide und künstliche Dünger extrem gestiegen sind. Da diese bei der Herstellung von Bio-Lebensmitteln nicht zum Einsatz kommen, ist Bio von diesen Preissteigerungen nicht betroffen.

Aufgrund der unbeständigen weltpolitischen Lage ist es schwer, Aussagen über zukünftige Entwicklungen zu machen. Die aktuelle wirtschaftliche Situation des Bio-Fachhandels ist komplex und wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Fest steht, dass die Bio-Unternehmen, genau wie die Unternehmen des konventionellen Lebensmittelhandels auch, durch die enorm gestiegenen Kosten für Verpackungen und Energie sehr gefordert sind. Doch gerade den Unternehmen der Biobranche ist es wichtig, die Preise möglichst stabil zu halten, um insbesondere die kleinen Strukturen im Biomarkt zu stützen, auch wenn sich dadurch die Gewinnmargen verringern.

Hohe Belastungen und explodierende Kosten werden aber auch im Biohandel sichtbar werden. Die Preise für Lebensmittel und andere Produkte des täglichen Bedarfs werden auch hier steigen. Wir gehen jedoch davon aus, dass dies deutlich moderater sein wird als im konventionellen Lebensmittelhandel. Für den Bio-Fachhandel bietet die aktuelle Situation trotz der Krisenhaftigkeit auch die Chance, Kund*innen mit dem Preis-Leistungs-Verhältnis von Bio-Lebensmittel zu werben. Denn hier im Fachhandel erhalten Kund*innen viel mehr fürs Geld: mehr Tierwohl, qualitativ hochwertige und umweltschonend hergestellte Lebensmittel sowie die Förderung und Stärkung regionaler Strukturen.

Autor: Hans F. Kaufmann, Leiter Kommunikation beim BNN